Mai 2010
Der Befreiungsschlag in der katholischen Kirche
Die kirchliche Führung in Österreich hat nach einigen „Schrecksekunden“ auf die Anschuldigungen der letzten Monate im Großen und Ganzen richtig reagiert. Es sollen keine ängstlichen Vertuschungen mehr vorkommen. Kirchliche Persönlichkeiten, die Kinder oder Jugendliche sexuell missbrauchen, müssen angezeigt und den Behörden ausgeliefert werden wie jeder andere Staatsbürger auch. Frühere Opfer sollen Hilfen erhalten.
Gewaltanwendung in der Erziehung ist heute sicher kaum mehr zu sehen. Bei früheren Erziehungsmethoden waren körperliche Züchtigungen in Familie, Schule oder auch bei der Lehrausbildung häufig. Wenn diese auch nicht bagatellisiert werden sollen, sind sie dennoch nicht mit heutiger Sicht von Verfehlung in diesem Bereich vergleichbar, und schon gar nicht mit den verbrecherischen Missbrauchfällen von Kindern und Jugendlichen in eine Topf zu werfen. Das zögernde um das Ansehen der Kirche besorgte Lavieren bei sexuellem Missbrauch in kirchlicher Verantwortung wird also beendet.
Doch gibt es noch einen anderen Bereich, der zu Verheimlichung, Heuchelei und Misstrauen Anlass gibt. Es ist die zölibatäre Lebensform der Priester, die nicht von allen optimal gelebt wird. Die Schätzungen des Prozentsatzes derer, die nur zum Schein zölibatär leben, aber eine intime Beziehung sei es zu Frauen oder vielleicht auch gelegentlich zu Männern haben, gehen weit auseinander. Wobei die Intensität solcher Beziehungen von zurückhaltender Freundschaft bis hin zu einem eheähnlichen Intimleben ganz verschieden sein kann. Es handelt sich dabei nicht um Verbrechen im staatlichen Gesetzesbereich, ist aber doch ein Leben im Zwiespalt und nicht in der Wahrheit, und daher in einer Kirchegemeinschaft, die sich der Wahrheit verpflichtet weiß, von großem Schaden.
Auch in diesem Bereich ist ein Befreiungsschlag unausweichlich. Dieser wäre für die katholische Kirche möglich und dringend erforderlich, will sie in der Gesellschaft führend Werte des christlichen Glaubens, der göttlichen Barmherzigkeit, der Freiheit und Wahrhaftigkeit, letztlich der Liebe verkünden und vorleben.
Dadurch wären nicht alle Probleme menschlicher Schwächen aus der Welt geschafft, aber viele könnten „in der Wahrheit“ leben, die selbst unter manchmal notwendig scheinender Heuchelei leiden oder auch unter seelischem Druck eines schlechten Gewissens stehen.
Die freiwillige zölibatäre Lebensform wäre damit nicht abgeschafft, vielmehr würde ihre Bedeutung noch klarer hervortreten. Außerdem würden manche hervorragende Persönlichkeiten zum Priesterberuf finden, die wegen des geforderten Zölibats zögern, diesen Schritt zu wagen.
Mag. Anton Merli
Schöpfung oder Evolution
Im Jubiläumsjahr des Charles Darwin, er ist am 12. Februar 1809 geboren, wird viel über seine Evolutionslehre geschrieben. Unter Evolution versteht man die Entstehung der Arten aus Lebewesen früherer einfacherer Vorstufen, die Weiterentwicklung aus Urformen zu den heute lebenden Pflanzen und Tieren und auch zum Menschen. Dabei ist die Rede von Zufall, von natürlicher Auslese, vom Überleben des Stärkeren, von Anpassung an die jeweils gegebenen Lebensbedingungen, von Mutationen usw.
Zur Zeit Darwins sah man die Welt als Gottes Schöpfung an und stützte sich auf die Berichte der Bibel über die Erschaffung der Welt in sechs Tagen. Dieser Glaube war durch Darwins Theorien gefährdet und beschwor heftige Kontroversen herauf zwischen denen, die die Bibelberichte wörtlich verstanden, anderen, die nur ihre religiösen Aussagen für wichtig hielten, ihnen aber keine naturwissenschaftliche Bedeutung beimaßen, und schließlich jenen, die Gottes Wirken überhaupt, ja sogar seine Existenz leugneten. Diese Meinungsverschiedenheiten bestehen bis heute und leben in letzter Zeit wieder neu auf.
Das rechte Verständnis der biblischen Aussagen ist eine wichtige Voraussetzung, um das Problem aus gläubiger Sicht beurteilen zu können.
Dafür gibt es in der heutigen Bibelwissenschaft zwei Eckpfeiler: die historisch-kritische Methode der Bibelauslegung und die Unterscheidung der verschiedenartigen literarischen Gattungen der biblischen Berichte.
Die historisch-kritische Methode sucht die Texte aus der Zeit ihrer Entstehung, aus den damaligen Lebensverhältnissen, naturwissenschaftlichen Vorstellungen, sprachlichen Eigenheiten und politischen und gesellschaftliche Gegebenheiten heraus zu erklären.
Es werden je nach den literarischen Gattungen der Texte auf verschiedene Weise historische Ereignisse beschrieben, religiöse Lehrschreiben dargeboten, in Hymnen Gottes Größe gepriesen, in Gleichnissen Wahrheiten erläutert, alte Legenden herangezogen usw., also in ganz verschiedener Art wird Wesentliches über Gott und die Welt aus gläubiger Sicht mitgeteilt.
Dabei kommt es immer auf die Aussageabsicht des Autors, auf den wesentlichen theologischen Gehalt eines Textes an. Ausschmückungen, Zusatzerzählungen, naturwissenschaftliche Vorstellungen oder Übertreibungen sind Beiwerk, wollen veranschaulichen oder die Bedeutung des Gesagten verstärken. Sie können erfunden oder von anderen alten außerbiblischen Überlieferungen entlehnt sein.
Es ist Aufgabe der Bibelwissenschaft, die entsprechende Unterscheidung der literarischen Gattungen zu klären, was in Kurzform in jeder Bibel versucht wird oder in eigenen Kommentaren zu den Bibeltexten ausgiebig geschieht.
Vor diesem Hintergrund ist auch der Schöpfungsbericht der Bibel zu verstehen. Er baut auf dem damals gängigen Weltbild auf. Da es sich um einen Hymnus auf Gottes Schöpfung handelt und nicht um eine naturwissenschaftliche Lehre, kann als theologischer Gehalt ungefähr Folgendes erkannt werden:
Alles, was existiert, geht auf Gottes Schöpferkraft zurück. Nichts existiert, ohne dass es Gott werden ließ. Vorstellungen und Überlieferungen aus der Zeit der Niederschrift fließen in den Bericht ein. Wie die Schöpfung vor sich ging, darüber gibt die Bibel keine Auskunft. Sie ist kein naturwissenschaftliches Lehrbuch, sondern ein Glaubensbuch. Dass mit der Einteilung in sechs Tage auch der Sabbat als Ruhetag gestützt werden sollte, wird mit Recht vermutet.
Bei diesen Voraussetzungen bleiben vereinfacht gesprochen im Hinblick auf die Evolutionstheorie Probleme, die Gläubige und Ungläubige trennen:
1. Wie war der Anfang der Evolution? Schuf Gott Materie, die sich entwickeln konnte? Setzte er die ganze Evolution in Gang („Urknall“) oder ist alles ohne göttliches Zutun in bisher unbekannter Weise zufällig geworden?
2. Ist der Mensch in besonderer Weise von Gott mit einer unsterblichen Seele ausgestattet oder ist der ganze Mensch auch nur ein ausschließliches Produkt der Evolution, also gänzlich dem Tierreich zugehörig und ohne Gottes Wirken geworden?
Die Aussagen kirchlicher Persönlichkeiten, also auch des Papstes, zu diesen Fragen beinhalten ungefähr folgende Lehren:
1. Die Evolutionslehre steht nicht grundsätzlich im Gegensatz zum christlichen Glauben, wenn man für den Anfang und dann bei jeder Entwicklung und Entfaltung, wie es heißt, einen göttlichen Plan (Design) annimmt. Der blinde Zufall allein als Ursprung und Triebfeder jeder Entwicklung der Welt ohne Gott wird abgelehnt.
2. Die Evolutionslehre widerspricht auch nicht dem christlichen Glauben, wenn man zwar die Abstammung des Menschen aus dem Tierreich als gegeben annimmt, für die menschliche Seele jedoch Gottes besonderes Wirken bejaht. Die Kirche meint, die Entstehung des ganzen leiblichen und geistigen Menschen aus den tierischen Vorfahren ohne Gottes besondere Lenkung würde auch seine besondere Gotteskindschaft, seine Begnadigung durch Gottes Heiligen Geist, womöglich auch seiner Unsterblichkeit und somit seine besondere Würde und Einmaligkeit in Frage stellen.
Man könnte die Kontroversen entschärfen, wenn man der Wissenschaft ihren Bereich überlässt, darüber hinaus aber wissenschaftlich Unerklärbares akzeptiert. Es könnte ja sein, dass, für uns zwar unbegreiflich, aber doch auch im Zufall und in anderen Vorgängen in der Kette der Evolution göttliches Wirken verborgen ist.
AM