Donnerstag, 15. Oktober 2009

Aktuelle Themen

Gottes Gegenwart

(Theologische Überlegungen)

Einschlägige Texte:

1 Kor 6, 16-20
1 Kor 8, 6
1 Kor 12, 4-6
Apg 17, 28
Röm 11, 36
Kol 1, 16f
Hymnus zur Terz und zur Non

Vorbemerkungen:

1. Die Gottesfrage steht immer im Mittelpunkt des Glaubens und des religiösen Lebens. Nicht wenige Menschen behaupten, nicht an Gott glauben zu können. Ursachen dieses scheinbaren Unglaubens sind häufig falsche Gottesvorstellungen, die durch biblische Gottesbilder im Religionsunterricht eingeprägt wurden oder von irreführenden Gebets- und Liedtexten herrühren.
Wenn der Afrikaner draufkam, dass sein bisher verehrter Gott aus gewöhnlichem Holz besteht und er diesen verbrennt, ist er damit keineswegs gottlos geworden. Er hat sich nur von seiner falschen Gottesvorstellung getrennt.
Ähnlich geht es dem Europäer, der die anschaulichen Erzählungen seines Katecheten im Gedächtnis hat und jetzt mit den neuesten Erkenntnissen der Astronomie, der Evolutionstheorie und der Psychologie konfrontiert wird.
Daher können neue theologische Überlegungen zu einem gereiften Glauben führen, der zwar nicht alle Fragen beantwortet, aber doch Schienen legt, denen sich Suchende tastend anvertrauen können.

Ein solcher Weg soll im Folgenden versucht werden.

2. Gott ist das vollkommenste Wesen, reiner Geist, gänzlich anders wie wir. Deshalb müssen wir uns bei unseren Aussagen über Gott dessen bewusst sein, dass wir die Wirklichkeit Gottes nur annähernd andeuten können. Was wir daher über Gott sagen, ist mehr mangelhaft als richtig oder doch nur Ausdruck einer Ahnung oder der Schlussfolgerungen aus uns zugekommenen Botschaften.
Sämtliche Bilder von Gott in unserem Denken und in unseren Vorstellungen, die wir von Kindheit an bis heute in uns gespeichert haben, sind irreführend, mangelhaft und lediglich schwache Versuche, über Gott zu reden. Die Autoren der heiligen Bücher haben mit diesem Problem zu kämpfen gehabt. Alle diese Bilder sollten wir löschen, um neu und nur vorsichtig tastend über Gott nachzudenken und zu reden oder überhaupt über ihn zu schweigen.

3. Das Problem, Gott zu begreifen hängt mit Raum und Zeit zusammen. Zeitliche Abfolge und räumliche Ausdehnung sind nur dort vorhanden, wo es Materie gibt. Wenn man über Gott spricht, ist zu beachten, dass wir nur in menschlichen Kategorien, nur in Analogien denken und reden können, also nicht unabhängig von unserem geistigen Hingeordnetsein auf Zeit und Raum. Dieses Materie-abhängige Denken berührt jede Aussage über Gott, also auch den Begriff „Gegenwart Gottes“. Gott ist göttlich-rein-geistig existierend und daher auch anders gegenwärtig wie wir gegenwärtig sind oder uns Gegenwart vorstellen können.


4. Wir können nur in den Kategorien unseres Denkens und unserer Vorstellungswelt Gott „erkennen“ oder erfahren, also aus sinnlich oder geistig Wahrnehmbarem: materielle Welt, Naturgesetze, gotterfüllte Menschen (Propheten) und in besonderer Weise durch Jesus von
Nazaret. Auch „Gotteserfahrungen“ im eigenen Leben sind möglich. Normalerweise ist nur eine indirekte Gotteserkenntnis möglich. Von Mystikern wird berichtet, dass sie Zugang zu direkter Gotteserfahrung haben.

5. Wo Gott ist, da ist Liebe, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit und alles, was daraus entspringt. Man könnte auch sagen, wo Liebe, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, da ist Gott erlebbar. Wieder aber nur in den Kategorien unserer beschränkten Vorstellungen, die wir mit diesen Eigenschaften verbinden

Im Folgenden soll nur über einen Aspekt des göttlichen Seins nachgedacht werden, nämlich über seine Gegenwart im Menschen.

Prämissen:

Gott ist überall gegenwärtig. Alles, was existiert, existiert in Gott.
Es gibt nichts in der „raum-zeitlichen“ Welt, wo Gott nicht gegenwärtig wäre.
Es gibt auch nichts, das nicht andauernd von Gott in seinem Sein erhalten werden würde.
Ohne Gottes Wirkkraft kann nichts außer ihm bestehen bleiben.
Diese Prämissen gelten für die physische und für die geistige Welt.

Die Gegenwart Gottes in allem Sein kann man zweifach sehen:

Die „erhaltende“ oder „begleitende“ Gegenwart Gottes. Ohne diese würde alles ins Nichts zurückfallen.
Die „bewegende“ oder „verwandelnde“ Gegenwart Gottes – als Heiliger Geist bezeichnet und wahrgenommen.

Die Unterscheidung treffen wir wieder nur in unserem Denken, sie hat ihre Begründung aber nicht im Wesen Gottes. In Gott gibt es keine Zerteilung und keine wie immer geartete Unterscheidung von außen. Es existieren nur innergöttliche Beziehungen, die aber wieder nicht mit unseren Vorstellungen von Beziehungen übereinstimmen.

Beide oben genannten Gegenwartsweisen Gottes können wir uns sowohl für den materiellen wie auch für den geistigen Bereich der Welt vorstellen.

Beschränken wir uns hier auf den geistigen Bereich in der uns zugänglichen Welt.
Da steht einmal der Mensch mit seinen geistigen Fähigkeiten im Blick. Gott ist also in allem geistigen Geschehen des Menschen immer gegenwärtig, in seinem Denken, seinem Wollen, seinem Lieben, seiner Trauer, seiner Freude, seinen Plänen, seinen geistigen und moralischen Verirrungen, seinen guten und schlechten Absichten usw., gegenwärtig durch seine „erhaltende“ oder „begleitende“ Gegenwart. Diese Gegenwart kann weder vom Menschen beeinflusst, noch behindert werden. Er benötigt sie zu seinem gesamten geistigen Leben. „Gottlos“ kann man er also in dieser Sicht nicht sein.

Was die „bewegende“ oder „verwandelnde“ Gegenwart Gottes betrifft, kann sich der Mensch dieser einerseits willentlich anschließen, sich in diese einfügen, ihr in seinem Tun und Lassen Raum geben, andererseits sie aber auch unbeachtet lassen oder sich sogar gegen sie wehren. Letzteres bedeutet, dass er im Widerspruch zu dem in ihm gegenwärtigen Gott lebt, denkt und allgemein geistig tätig ist. Er kann also in dieser Sicht „gottlos“ sein.
Daraus ergibt sich die alte ungelöste theologische Frage des scheinbaren Widerspruchs von Gottes allmächtigem Wirken und der Möglichkeit von Sünde. Dieser ist deshalb nicht aufzulösen, weil das Wesen Gottes von uns nicht begriffen werden kann. Daher können wir von einem „scheinbaren“ Widerspruch reden.

Konsequenzen, die sich aus dieser Betrachtungsweise der Gegenwart Gottes im geistigen Sein des Menschen ergeben:

Die große Bedeutung jeder menschlichen Person - Würde jedes Menschen.
Begegnungen haben einen besonderen Stellenwert.
Redlichkeit in Diskussionen und Respekt vor den Argumenten der Teilnehmer.
Umfassende Verantwortung für die Mitmenschen und für die Schöpfung.
Prägung des täglichen Lebens und des Benehmens durch diese Gegenwart (Anstand usw.).
Ein daraus abzuleitender Auftrag zur eigenen Weiterbildung und Vervollkommnung.
Wichtigkeit des religiösen Lebens allgemein (Orte bewusster innerer Begegnung mit Gott). Durch die religiöse Praxis wird der Mensch für das Wirken des unbegreiflichen Gottesgeistes in sich bereit und empfänglich:
Gebet
Gottesdienst
Sakramente
Lesung der Bibel
Meditation
Daraus entspringt die Fähigkeit zur ständigen Orientierung im täglichen Leben an den so erfahrenen Normen, die dem anwesenden Gott entsprechen.
„Gott ist Liebe.“ Gottes Gegenwart bedeutet Gegenwart der unendlichen Liebe. Der krasseste Widerspruch zum anwesenden Gott besteht in jeder Form von Lieblosigkeit. Wo Liebe ist, da ist Gott.
Gewissenserforschung im Hinblick auf diese Gegenwart.
Hoffnung, Vertrauen und Freude am eigenen von Gott getragenen Leben und am Leben allgemein.
Zuversicht, auch im Tod nicht unterzugehen.

Zusammenfassende Grundsatzfrage: Entspricht mein Leben dem in mir gegenwärtigen Gott? Strebe ich diesen Zustand an?

Zukunftshoffnung: Der von Gottes Gegenwart geprägte Mensch wächst im Laufe seines Lebens in die Gemeinschaft mit dem anwesenden Gott hinein, begreift oder erahnt ihn zunehmend und findet so in ihm seine glückselige Vollendung. Raumzeitliche Vorstellungen sind dabei notwendig, aber auch irreführend.
Gestützt auf die Bibel weist die Kirche aber auch auf die Möglichkeit des Menschen hin, in einen endgültigen geistigen Widerspruch zu Gott zu gelangen, dort hartnäckig zu verbleiben und damit den Verlust von Lebenssinn und Glückseligkeit zu erleiden.

Aus dem Gesagten ergeben sich einige Fragen und Probleme:

Wie ist das mit Jesus? Wie ist Gott in Jesus und Jesus in Gott gegenwärtig?
Jesus von Nazaret ist mit der Zweiten Göttlichen Person vereint, ist also auch mit seiner verklärten menschlichen Natur in den unendlichen Gott eingegangen und ist überall dort, wo Gott ist. Teilhard de Chardin sprach vom „Kosmischen Christus“.

Wie ist Gott in der Eucharistie gegenwärtig?

Auch in der Eucharistie kann man in der von uns getroffenen Unterscheidung von der „erhaltenden“ oder „begleitenden“ Gegenwart Gottes im Brot und Wein sprechen, aber zusätzlich auch von der „verwandelnden“ oder „bewegenden“ Gegenwart des Dreifaltigen Gottes. Gott ist im verklärten Christus ganz gegenwärtig und somit auch in dem in geheimnisvoller Weise gegenwärtigen und für uns hingegebenen Christus in der Eucharistie, mit dem wir bei der Messe und Kommunion im Verzehren eine äußere und darüber hinaus eine innere Lebensgemeinschaft eingehen. Von Jesus hören wir von dem, der die Eucharistie empfängt: „ … der lebt in mir und ich in ihm.“ Das bedeutet, dass wir so auch hineingenommen werden in eine innige Lebensgemeinschaft mit dem Dreifaltigen Gott, dass wir von Gottes Geist erfasst werden.
Bei der Feier und beim Empfang der heiligen Eucharistie wird der Mensch immer mehr in das unendliche Sein Gottes hineingenommen. Es baut sich die kommende Seinsweise des „vergöttlichten“ Menschen auf, die wieder nicht mehr in unser zeiträumliches Denkschema passt.

Anthropomorphe Bilder von Gott in den Texten der Gebete und Lieder sollten immer mehr verschwinden oder doch erklärt werden.

AM