Freitag, 18. Februar 2011

Februar 2011

Worauf sich die katholische Kirche in der Diözese St. Pölten, in Österreich und in Europa vorbereiten sollte.

Jänner 2011

(Anton Merli)

Die Veränderungen der für das christliche Leben relevanten gesellschaftlichen Fakten gehen immer rasanter vor sich. Daher ist eine vorausschauende Reaktion der Kirche dringend notwendig. Es wäre unklug, in der Pastoral und im Leben der Kirche einfach im bisherigen Trott weiterzuwursteln.

Was wird sich voraussichtlich in den nächsten 10 bis 20 Jahren signifikant verändern?


  1. Die Austrittswelle wird nicht wesentlich abebben, sich eher noch beschleunigen, denn der Abschied von der Kirche wird immer leichter, je mehr Ausgetretene es gibt. Auch der Einfluss der Großeltern und Eltern oder ehemaliger Katecheten, die noch eine Zeit lang eine Hemmschwelle für einen Austritt darstellten, geht immer mehr zurück.
  2. Viele Pfarren werden ohne Priester auskommen müssen.
  3. Die finanziellen Mittel der Kirche werden stark reduziert sein.
  4. Es werden kirchliche Gebäude nicht mehr erhalten werden können.
  5. Die Kirchen- und Religionsgegner werden sich immer mehr organisieren und die Kirche offener bekämpfen.
  6. Es wird eine Art Kulturkampf unausweichlich sein, weil Andersgläubige, besonders radikale Moslems, das Leben der Christen bedrohen werden.
  7. Mit der immer größeren Zahl der Nichtkatholiken werden auch deren Privilegien als Religionsgemeinschaft in Frage gestellt werden (steuerliche Bevorzugung usw.).
  8. Der kath. Religionsunterricht wird nicht mehr als Pflichtfach eingestuft und vom Staat finanzieret werden, wenn die Zahl der Ungetauften ansteigt.
  9. Die Kreuze in Schulen und Spitälern werden verschwinden.
  10. Man wird mit Nachdruck die Änderung des Konkordats mit dem Vatikan oder seine Aufhebung fordern
  11. Die katholischen Feste werden sukzessive von staatlichen Gedenktagen oder von Feiertagen anderer Religionsgemeinschaften abgelöst.
  12. Die Sonntagmessen werden nur mehr von einer verschwindenden Zahl von Senioren mitgefeiert werden.
  13. Kirchliche Jugendgruppen wird es kaum noch oder nur mit wenigen Mitgliedern geben.
  14. Die Sexualmoral der Kirche wird nicht mehr beachtet werden (z. B. Schamlosigkeit, voreheliche Kontakte, Ehebruch, Homo-Partnerschaft, lesbische Beziehungen usw.).
  15. Es wird immer mehr geschiedene Wiederverheiratete und unverheiratete Bindungen auf Zeit geben.
  16. Der überwiegende Teil der jungen Menschen wird nicht mehr kirchlich heiraten und die Kinder nicht mehr taufen lassen.
  17. Früher oder später wird nicht nur im Hinblick auf islamisches Recht die staatlich garantierte Einehe in Frage gestellt sein.
  18. Das absolute Lebensrecht der Ungeborenen, Behinderten und Alten wird zunehmend hinterfragt werden. Eine Euthanasiebewegung wird immer lauter das Verfügungsrecht über Leben und Tod und das Recht zur Sterbehilfe propagieren.
  19. Die Auslese „gesunden Lebens“ (Präimplantationsdiagnostik) und die medizinische Verwertung von Embryonen werden sich immer mehr durchsetzten.
  20. Man wird auch das Beichtgeheimnis angreifen und für bestimmte Verbrechen eine Anzeigepflicht bei der Behörde fordern.
  21. Die Begräbnisse werden ohne Pfarrer von Begräbnisfirmen feierlich gestaltet werden.
  22. Die Kirchenglocken werden als Störfaktor des Fremdenverkehrs immer mehr zum Schweigen gebracht werden.
  23. Wahrscheinlich wird es auch eine Abspaltung von Katholiken von der katholischen Kirche geben.
  24. Auch die treu gebliebenen Katholiken werden sich immer weniger an kirchliche Anordnungen halten (z. B. Beichte, Sonntagmesse, Eheleben u. a.).

Soweit einige voraussehbare Veränderungen, die unausweichlich zu sein scheinen.


Die führenden Persönlichkeiten in der katholischen Kirche werden sie wahrscheinlich anzweifeln, ignorieren und so agieren, als bliebe alles beim Alten.

Auch wenn das folgende Szenario ein wenig überzogenem Sarkasmus entspringt, könnte man vielleicht doch mit Recht die Zukunft der Kirche ohne Erneuerungswillen wie folgt beschreiben:

Die Bischöfe werden noch einige Zeit weiterhin mit ihren Infeln „wie Götter“ umherziehen, bei Orgelklang und Glockengeläute das hell erleuchtete und frisch herausgeputzte Gotteshaus betreten, würdevoll und Segen spendend durch die Reihen der versammelten Eltern von Firmlingen schreiten, die großteils mit dem katholische Glauben kaum mehr etwas am Hut haben. Sie werden von Prominenten des öffentlichen Lebens, die zum Anlass und dann zum Mahl geladen sind, mit Verbeugung begrüßt werden. Sie können zu den zum Fest neu eingekleideten und frisch geschniegelten Firmlingen modern-burschikos oder auch salbungsvoll sprechen, die dem „verkleideten Nikolaus“ etwas erstaunt zuhören, aber nach der Firmung nicht mehr in der Kirche zu sehen sind und spätestens nach 10 Jahren ausgetreten sein werden. Eifrige Bischöfe werden weiterhin „fleißig arbeiten“, Marterl segnen, Eröffnungen beiwohnen, Weintaufen vornehmen, Hirtenbriefe schreiben, Hochämter singen, gelegentlich Priesterweihen vornehmen, Optimismus verbreiten, freundlich lächelnd Interviews geben und, weil sie noch überall Ehrenplätze einnehmen, an ihre Bedeutung im gesellschaftlichen Leben glauben.

Die Pfarrer, zumeist im Pensionsalter, werden noch einige Jahre ihren bisherigen Dienst verrichten und vom Gedanken erfüllt, „hinter mir die Sündflut!“, es sich noch halbwegs gut gehen lassen. Die Lücken im Klerus füllen ausländische Priester, die nicht immer optimal agieren. Die Mitarbeiter werden das Pfarrgeschehen weiter zwar mit Unbehagen, aber doch tapfer begleiten. Es können also vorläufig noch alle so tun, als liefe es in der Kirche zwar mühsam, aber doch immer so weiter wie bisher und auf ein Wunder warten.

Man wird noch einige Zeit Kirchen und kirchliche Gebäude renovieren, Bau- und Liegenschaftsämter beschäftigen, Pastoralämter als Beschäftigungstherapieanstalten betreiben. Die Zentralen der Katholischen Aktion werden weiter Papiere produzieren und aussenden, die kaum jemand liest, weil es viele „Häuptlinge“ und wenige „Indianer“ gibt. Die Ordinariatskanzleien werden mit Anfragen über Ehegesetzgebung, Dispensansuchen und „wichtigen Fragen“ bezüglich Pfarrverwaltung, Versetzungen, Verleihung von Orden und anderem mehr beschäftigt sein. Im Rechtsreferat und Ehegericht wird über Ungültigkeitserklärungen gebrütet, werden „wichtige“ Entscheidungen getroffen, die die Bedeutung von Organisation und kirchlicher Gesetzgebung suggerieren. Es wird noch einige Jahre unverdrossen „Stroh gedroschen“ und zunehmend „Leere gemahlen“ werden.

(Dieses hier entworfene Bild entspricht natürlich nicht der Situation in der Diözese St. Pölten und überzeichnet ohne jemanden kränken zu wollen die hoffentlich nicht eintretende Entwicklung, wenn es zu keiner grundlegenden Erneuung kommt.)


Es gibt die Möglichkeit des Erwachens und der Erneuerung.

Einige Gedanken dazu:

Aufbau neuer Strukturen in den Pfarren


These 1: Die Zahl der katholischen Christen wird in den Pfarren rasant zurückgehen.

These 2: In absehbarer Zeit wird man die Pfarren nicht mehr hinreichend mit Priestern versorgen können.

These 3: Auch für Pfarrverbände wird man unter dem Klerus nicht immer einen geeigneten Koordinator finden.


Es ist daher dringend notwendig, womöglich für jede Pfarre, die keinen eigenen Priester mehr hat, durch den Bischof eine (oder höchstens 3 - 1 Leiter u. 2 Stellvertreter) Ansprechperson (männlich oder weiblich) zu bestellen („Seniorenrat“, „Kirchliches Koordinationsgremium“, „Pfarrkoordinator“, „Pfarrassistent“ - oder andere Bezeichnungen).

Diese Koordinatoren werden wahrscheinlich aus einem funktionierenden Pfarrgemeinderat genommen werden müssen oder überhaupt das bisherige Führungsteam des PGR sein. Wo diese vorhanden sind und die entsprechenden Voraussetzungen dafür mitbringen, werden Diakone oder Pastoralassistenten diese Aufgabe gemeinsam mit sonstigen Laien übernehmen.

Auch in den Pfarren, die noch durch einen Priester betreut werden, sollte der zuständige Pfarrer schon jetzt angehalten werden, nach geeigneten Persönlichkeiten Ausschau zu halten und diese durch die entsprechende Schulung auf ihre spätere Aufgabe vorbereiten. Ein Wahlvorgang (Kandidatenvorschläge) im Pfarrgemeinderat oder durch die Mitfeiernden bei der Sonntagsmesse könnte der Kandidatenfindung dienen.

Die Kandidaten sind ein Jahr hindurch für ihre Aufgabe, die über die bisherige PGR-Tätigkeit hinaus geht, in dekanatsweise neu zu organisierenden abendlichen Kursen mit 10 Fortbildungseinheiten auszubilden (5 Abende religiöse Bildung, 5 Abende Praxis der Leitung und Pfarrverwaltung).

Diese Pfarrkoordinatoren („Pfarrliches Koordinationsteam“, vielleicht auch „Administratives Pfarrleiterteam“) sind bei genau festgelegten Pflichten und Rechten mit Eigenverantwortung (entfernt vergleichbar mit der Tätigkeit eines Bürgermeister und seiner geschäftsführenden Gemeinderäte) auszustatten.

Zu den Aufgaben werden gehören: Einberufung und Leitung der Sitzungen des Pfarrgemeinderates und des Pfarrkirchenrates, Leitung des „Arbeitskreises Liturgie“, Organisation der Krankenbesuche, Taufgespräche, Vorbereitung der Erstkommunion und Firmung, Kontaktaufnahme mit einem Priester oder Diakon bezüglich Messfeiern, Wortgottesdiensten, Sakramentenspendungen, Versehgänge, Begräbnisse, weiters Erledingungen in der Pfarrkanzlei (Matriken, Scheine usw.).

Durch überpfarrliche Zentralisierung und elektronischen Vernetzung der administrativen Aufgaben (Ausstellung von Scheinen, Matrikenführung, Bauangelegenheiten, Finanzgebarung usw.) würde sich die Dienstzeit des „Pfarrkoordinators“ reduzieren lassen. Eventuell wird man dazu pfarrübergreifend voll- oder teilzeitbeschäftigte Kanzleisekretäre anstellen.


Die unterstützende „Aufsichtsbehörde“ ist der Dechant oder - da man ja auch in Zukunft nicht immer dafür geeignete Dechanten finden wird - ein Bischofsvikar.

Dazu wären in der Diözese anstelle der oder zusätzlich zu den 2 Erzdechanten

4 Bischofsvikare einzusetzen (in der Diözese St. Pölten 2 südlich und 2 nördlich der Donau), die auch für eine wenigstens vierteljährliche Tagung der Pfarrkoordinatoren in ihrem Gebiet, wo sie auch eine kleinere Pfarre betreuen, zu sorgen hätten und als Hauptaufgabe deren Weiterbildung und die Kontaktpflege mit diesen in ihrem Viertel wahrnehmen müssten. Sie sollten in ihrer Gesinnung keine „alten Herren“ sein, die erhaben schon „über alles Bescheid wissen“ und nicht mehr Suchende, Fragende und Hörende sind. Je 2 Laien könnten die Bischofvikare unterstützen und in einigen Bereichen vertreten.

Die Beauftragung und Sendung (Missio) der Pfarrkoordinatoren soll durch den Bischof (vielleicht sogar mit Handauflegung), die feierliche „Installierung“ in der jeweiligen Pfarrgemeinde unter Beisein des Dechanten durch den zuständigen Bischofsvikar erfolgen.

Die Amtsdauer des Koordinators in einer Pfarre beträgt 5 Jahre und kann vom Bischofsvikar im Einvernehmen mit dem Dechant formlos um weitere 5 Jahre verlängert werden. Nach 5 Jahren kann und nach 10 Jahren muss eine Zustimmung durch die Pfarrbevölkerung (eine Art einfache Befragung) erfolgen, um seine „Amtstätigkeit“ wieder um weitere 5 Jahre zu verlängern.

Pfarrkoordinatoren sollen mindestens 25 Jahre alt sein. Sie sollen nach dem vollendeten 65. Lebensjahr nicht mehr neu (das erste Mal) bestellt werden. Eine Verlängerung des Einsatzes der Altgedienten um 5 Jahre ist bis zu 69. Lebensjahr möglich. Die Tätigkeit als Pfarrkoordinator endet spätestens nach vollendetem 74. Lebensjahr oder gemäß den Regeln, die bei anderen kirchlichen Gremien üblich sind (PKR, PGR).

Es muss eine Aufwandsentschädigung entsprechend dem Zeitaufwand in den verschiedenen Pfarren in verkraftbarer Höhe geben, die zum Teil von der Pfarre und zum Teil von der Diözese zu leisten ist. Jüngere Pensionisten würden vielleicht diese Aufgaben auch unentgeltlich übernehmen (individuelle Verträge).


Sofortmaßnahmen:

Ein diözesaner Arbeitskreis sollte umgehend das Projekt „Neue Strukturen in den Pfarren“ gründlich diskutieren, es nach kirchenrechtlichen und praktischen Aspekten überprüfen und innerhalb eines halben Jahres ein Ergebnis vorlegen, damit spätestens nach Ablauf eines Jahres die „Anwerbung“ und Ausbildung der Einsatzbereiten anlaufen kann. Gleichzeitig muss ein Kursplan dazu erstellt werden.

Der Einsatz dieser Pfarrverantwortlichen würde wahrscheinlich nicht auf einen Schlag in allen Pfarren möglich sein, könnte aber je nach örtlichen Gegebenheiten sukzessive erweitert werden. Damit ergäbe sich die Möglichkeit, diese neuen Strukturen zuerst in einer Reihe von Pfarren zu erproben, um dann eine endgültige Form zu fixieren. Man müsste auch in anderen Diözesen erprobte Modelle studieren (z. B Graz oder in der Dritten Welt).

Die Dechanten und die Priester müssen über diese Pläne und Vorhaben „Neue Strukturen in den Pfarren“ ab sofort in einen Informations- und Diskussionsprozess eingebunden werden.

Die geistige Vorbereitung der Pfarrgemeinden auf diese strukturelle kirchliche Weiterentwicklung sollte in kirchlichen Aussendungen (Kirchenzeitung, Pfarrblätter usw.) ebenfalls sofort beginnen.

Dieser Aufbau „neuer Strukturen“ würde keine abrupte Neuentwicklung darstellen, sondern eher einen sanften Übergang zu mehr Selbständigkeit und Verantwortung der Christen in ihren Pfarren bedeuten, den drohenden Priestermangel abmildern und ein geregeltes kirchliches Gemeindeleben in einer zunehmend säkularisierten oder andersgläubigen Umgebung ermöglichen.

Der fortlaufende religiöse Weiterbildungsprozess dieser Mitarbeiter würde ihren Glauben vertiefen und das selbständige religiöse Leben in den Pfarren fördern. Auch könnte die Tätigkeit als Pfarrkoordinator für einige von ihnen ein Weg zum Diakonat oder zum Priesteramt werden.

Die Gefahr einer Glaubensverfälschung, einer„illegalen Verselbständigung“ oder gar Abspaltung von der kirchlichen Gesamtleitung wäre durch diese neuen Strukturen kaum zu befürchten.


Einige „Befreiungsschläge“ sind erforderlich:


Die kirchliche Führung in Österreich hat nach einigen „Schrecksekunden“ auf die Anschuldigungen der letzten Monate im Großen und Ganzen richtig reagiert. Es sollen keine ängstlichen Vertuschungen mehr vorkommen. Kirchliche Persönlichkeiten, die Kinder oder Jugendliche sexuell missbrauchen, müssen entsprechend den gesetzlichen Vorschriften angezeigt und den Behörden ausgeliefert werden wie jeder andere Staatsbürger auch. Frühere Opfer sollen Hilfen erhalten.

Gewaltanwendung in der Erziehung kommt heute kaum noch vor. Bei früheren Erziehungsmethoden waren körperliche Züchtigungen in Familie, Schule oder auch bei der Lehrlingsausbildung häufig. Wenn diese auch nicht bagatellisiert werden sollen, sind sie dennoch nicht mit heutiger Sicht von Verfehlung in diesem Bereich zu beurteilen und schon gar nicht mit den verbrecherischen sexuellen Missbrauchsfällen in einen Topf zu werfen. Das zögernde um das Ansehen der Kirche besorgte Lavieren bei sexuellem Missbrauch in kirchlicher Verantwortung wird also entschieden beendet. Soweit der erste Befreiungsschlag.


Dazu wäre vom Klerus ein gesamtösterreichischer „Buß- und Bettag“ als Zeichen des Abscheus gegen die verbrecherischen Vergehen von Mitbrüdern und des Mitgefühls mit den Opfern wünschenswert, wobei auch ein spürbarer finanzieller Beitrag aller Priester für die Opfer geleistet werden könnte. Das würde der Öffentlichkeit zeigen, wie die Kirche heute denkt und lebt.

Außerdem sollte eine intensive Informationskampagne über dieses Thema begonnen werden, aber auch über das Wesen der Kirche und die positiven Aspekte der Kirchenmitgliedschaft ausgiebig und fundiert informiert werden. Dies in allen Predigten, in den Pfarrblättern und in allen Gremien und Medien der Kirche. Daran sollten die Zentralen schon arbeiten und nicht wie das „Kaninchen auf die Schlange“ der Anschuldigungen starren oder darauf hoffen, dass alles bald in Vergessenheit geraten wird.


Doch gibt es noch einen anderen Bereich, der zu Verheimlichung, Heuchelei und Misstrauen Anlass gibt. Es ist die zölibatäre Lebensform der Priester, die nicht von allen optimal gelebt wird. Die Schätzungen des Prozentsatzes derer, die nur zum Schein zölibatär leben, aber eine intime Beziehung, sei es zu Frauen oder vielleicht auch gelegentlich zu Männern, haben, gehen weit auseinander. Wobei die Intensität solcher Beziehungen von zurückhaltender Freundschaft bis hin zu einem eheähnlichen Intimleben ganz verschieden sein kann. Es handelt sich dabei nicht um Verbrechen im staatlichen Gesetzesbereich, ist aber doch ein Leben im Zwiespalt und nicht in der Wahrheit und daher in einer Kirchegemeinschaft, die sich der Wahrheit verpflichtet weiß, von großem Schaden.

Auch in diesem Bereich ist ein „Befreiungsschlag“ unausweichlich. Es sollten, ausgenommen die Mönche, neben zölibatären Priestern auch verheiratete geben, wenn sie die dazu nötige Ausbildung und Gläubigkeit aufweisen. Dieser Befreiungsschlag wäre für die katholische Kirche möglich und dringend erforderlich, will sie in der Gesellschaft führend Werte des christlichen Glaubens, der göttlichen Barmherzigkeit, der Freiheit und Wahrhaftigkeit, letztlich der Liebe verkünden und vorleben.

Dadurch wären nicht alle Probleme menschlicher Schwächen aus der Welt geschafft, aber viele könnten „in der Wahrheit“ leben, die selbst unter manchmal notwendig scheinender Heuchelei leiden oder auch unter seelischem Druck eines schlechten Gewissens stehen.

Die freiwillige zölibatäre Lebensform wäre damit nicht abgeschafft, vielmehr würde ihre Bedeutung noch klarer hervortreten. Außerdem würden manche hervorragende Persönlichkeiten zum Priesterberuf finden, die wegen des geforderten Zölibats zögern, diesen Schritt zu wagen.


Auch ein dritter Befreiungsschlag wäre erforderlich.

Es geht um den feudalen und „hochwürdigen“ Lebensstil der Bischöfe und anderer hoher „Würdenträger“ bis hin zu den einfachen Pfarrern. „Hochwürden“, „Exzellenzen“, „Eminenzen“ und „Heilige Väter“, „Prälaten“, „Konsistorialräte“ usw., und auch die dazu gehörenden „Roben“ sollten als Relikte der Kirchengeschichte oder gar der Kirchenentartung verschwinden. Eine Vereinfachung des ganzen Lebens der Kleriker sollte vor sich gehen. Auch die pompösen Auftritte des Papstes sollten der Vergangenheit angehören, auch wenn sie die einfachen Menschen oder auch die „Barockgläubigen“ erfreuen. Einfachere Wohnungen sollten „bischöfliche Palais“ ablösen. Reduzierter Verwaltung und öffentlichen Veranstaltungen können praktische Gebäude dienen (Bildungshäuser).

Bischöfe und „Prälaten“, Domherren und sonstige „Dignitäre“ sollten jedes Jahr ein paar Wochen in einem Dekanat an der praktischen Seelsorge teilnehmen und so den Kontakt mit ihren Priestern und Christen pflegen, sich Diskussionen stellen, mit den Menschen beten, singen und feiern. Dies ginge über die lobenswerte Bereitschaft, Sonntagsaushilfen zu leisten, hinaus. Sie sollten bei diesem mehrwöchigen Kontaktaufenthalt jedoch mehr als Hörende und nicht als Wissende oder gar Allwissende auftreten und sehen, dass ihnen auch widersprochen werden kann. Sie sollten lernen, Wahrheiten nicht nur in einer „geschützten Umgebung“ und vor andächtig lauschenden frommen Insidern im üblichen „Theologendeutsch“zu verkünden. Sie sollten sich auch „respektlos“ Fragenden und sicher auch manchmal unsachlich Argumentierenden stellen, um Wahrheiten hinreichend und geduldig zu begründen, wie das auch jeder Pfarrer lernen muss.


Mit all diesen Änderungen im Leben der Kirchengemeinschaft muss eine innere Erneuerung Hand in Hand gehen. Eine Art Glaubenserneuerung muss als gesamtkirchliche Bewegung injiziert werden. Der Grundsatz könnte lauten: Alle aktiven Katholiken nehmen in den nächsten fünf Jahren an Glaubenserneuerungskursen teil, in denen ein erneuertes Leben der Christus-Nachfolge eingeübt wird.

Die Teilnehmer werden nach dem Kurs angehalten und d eingeladen, in regelmäßigen Abständen miteinander die dort erarbeiteten Grundsätze zu erörtern und ihr Leben aus der Bibel zu gestalten. Es wäre das eine Art Gebetsgruppen „erneuerter Christen“, die einander in der kleinen Gemeinschaft stützen und in der Apostolatsarbeit zusammengehörig wissen. Das alles muss sofort vorbereitet und in allen kirchlichen Organen und den Medien propagiert werden.

Damit verbunden müsste sich auch der Klerus einer inneren Erneuerung unterziehen. Neben theologischer Weiterbildung und religiöser Vertiefung müsste eine neue Art des pastoralen Wirkens entstehen. Zu einer gesunden Frömmigkeit müsste auch die eifrige Einsatzbereitschaft in der pastoralen Arbeit, der Mut zu neuen Methoden, die offensive, von Menschenfreundlichkeit und Freude durchwobene Pastoral treten, wo die Priester an den Freuden und den Lasten ihrer Christen mitfühlend, tröstend und helfend beteiligt sind. Seelsorge als Menschensorge basiert zunehmend auf persönlichen freundschaftlichen Kontakten.

Auf neue Erkenntnisse der Naturwissenschaft und auf neue ethische Fragen müssen die Priester neue solide und tragfähige Auskunft geben können. Dazu sind sie durch ein Stahlbad einer gründlichen mehrmonatigen Schulung zu führen. Die daran freiwillig teilnehmen und dazu geeignet sind, sollen zum Führungsteam einer Diözese berufen werden und entsprechende Aufgaben übernehmen.

Es wird auch eine neue Form asketischen Lebens einzufordern sein. Die Periode des gemütlichen Wohlstandslebens, der Festgelage mit Prominenten, des Bienen- und Rosenzüchtens, der Tarockabende, der Meer- und Kuraufenthalte, der Weltreisen, der Sauna- und Massage-Jünger, der Autofetischisten, aber auch der begabten Witze- und Anekdoten-Erzähler, der klerikalen Sprüche, der früheren „hochwürdigen“ Herablassung usw. ist zu Ende, auch wenn einiges davon in der Vergangenheit von Vorteil war.

Eine kraftvolle neue Kirche wird von wahrhaften, einsatzfreudigen, gerne mit den Menschen lebenden Priestern und Laien gestaltet werden, die sich dem unspektakulären, einfachen und bescheidenen christlichen Leben verpflichtet fühlen. Diese aktiven Christen werden glaubwürdig sein, weder „dampfplaudern“, noch belehren, sondern einfach die Botschaft des Evangeliums zu leben versuchen und diese ihren Mitmenschen anbieten.

Das pastorale Bemühen sollte nicht unter dem Damoklesschwert „Du musst!“ oder „Wer nicht nach christlichen Grundsätzen lebt, dem droht Verdammung!“ stehen. Die Suchenden sollen es erfahren: Es gibt das freundliche, wohlwollende christliche Angebot eines sinnvollen Lebens und einer Hoffnung über den Tod hinaus. Dieses Angebot ist ein Weg für jene, die nach dem Sinn suchen und der Sinnlosigkeit, Verwirrung und Resignation unserer oberflächlichen Zeit entkommen wollen.

Diese vorgeschlagenen Erneuerungen in der katholischen Kirche sind keine billigen Anpassungen an die „moderne Welt“ mit ihrer hektischen Suche nach Vergnügen und ungeprüfter Luststeigerung auf „Teufel, komm raus“ und „koste es, was es will“. Vielmehr sind es uralte christliche Wege, auf denen die Kirchengemeinschaft auch in der heutigen Zeit klarer, froher und überzeugender nach dem Evangelium leben kann.


Weitere sofort anzustrebende Änderungen in Kirche und Staat:

  1. Diakonat für Frauen
  2. Durchforstung und Modernisierung der liturgischen Texte und des religiösen Liedgutes.
  3. Ähnliche Ehegesetzgebung wie in den Ostkirchen
  4. Verpflichtender Ethikunterricht als Alternative zum Religionsunterricht an den Höheren Schulen
  5. Kultursteuer für alle Staatsbürger mit der Widmungsmöglichkeit für die eigene Religionsgemeinschaft (siehe Italien)


Übrigens noch ein Tipp zur Geldbeschaffung: Jährliche Kirchentombola mit dem Slogan: „Jeder Katholik kauft ein Los“. 600.000 Katholiken x 5 Euro minus Kosten und Preise = zwei Millionen Euro Gewinn. Bei einer geringeren Zahl von verkauften Losen entsprechend weniger Gewinn.


Wahrscheinlich wird im Rahmen der angekündigten Glaubenserneuerung in unserer Diözese ja schon fleißig gearbeitet. Die hier niedergelegten Gedanken eines Altpfarrers enthalten sicher nicht alles, was heute notwendig oder möglich ist, finden auch sicher nicht allgemeine Zustimmung. Wer sie bedenken will, soll es tun; er kann das Gute „ins Töpfchen“ seines Bemühens werfen, das Schlechte „ins Kröpfchen“ der Entsorgung zuleiten.


(Orthographische oder Formulierungsmängel und unausgereifte Ideen möge man korrigieren oder in Geduld übersehen!)


Mail-Adresse: merli@utanet.at