30. Sonntag im Jahreskreis
28. 10. 2012
Mk 10, 46-52
46Sie kamen nach Jericho. Als er mit
seinen Jüngern und einer großen Menschenmenge Jericho wieder verließ, saß an
der Straße ein blinder Bettler, Bartimäus, der Sohn des Timäus.
47Sobald er hörte, dass es Jesus von
Nazaret war, rief er laut: Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir!
48Viele wurden ärgerlich und befahlen
ihm zu schweigen. Er aber schrie noch viel lauter: Sohn Davids, hab Erbarmen
mit mir!
49Jesus blieb stehen und sagte: Ruft ihn
her! Sie riefen den Blinden und sagten zu ihm: Hab nur Mut, steh auf, er ruft
dich.
50Da warf er seinen Mantel weg, sprang
auf und lief auf Jesus zu.
51Und Jesus fragte ihn: Was soll ich dir
tun? Der Blinde antwortete: Rabbuni, ich möchte wieder sehen können.
52Da sagte Jesus zu ihm: Geh! Dein
Glaube hat dir geholfen. Im gleichen Augenblick konnte er wieder sehen, und er folgte
Jesus auf seinem Weg.
Gedanken zum Evangelium
Offenbar befindet sich die Gruppe um Jesus auf dem Weg nach
Jerusalem. Der blinde Bartimäus am Wegrand ruft mit aufkeimendem Glauben nach
Jesus. Er nennt ihn Sohn Davids und erhofft sich Hilfe, Heilung und Befreiung
aus seiner Isolierung. Man will den Störenfried zum Schweigen bringen. Doch er
lässt sich nicht einschüchtern und schreit noch lauter.
Die Blindheit bedeutet Trennung vom normalen Leben und ist eine
schwere Behinderung. Die Erzählung hat aber eine tiefere Bedeutung, der wir
nachspüren wollen. Die Blindheit kann sich verschieden auswirken und bedeutet
immer Unsicherheit, Absonderung, Einsamkeit.
Wir können unterscheiden:
Blindheit gegen sich selbst
Sie lässt den Menschen im Dunkeln über sich selbst.
Minderwertigkeitsgefühle, Selbstüberschätzung, Unzufriedenheit oder auch ein
krankhafter Unschuldswahn sind die belastenden Folgen.
Der Mensch braucht aber die richtige Wertung seiner Anlagen, seiner
Vorzüge und seiner Schwächen. Manchmal wirkt eine Psychotherapie befreiend.
Vertrauensvolle Hinwendung zu Jesus Christus und die
unvoreingenommene Prüfung seines Lebens vor ihm und mit ihm können
Gelassenheit, innere Ruhe und Lebensfreude bewirken. Die Wahrheit macht frei.
Blindheit gegenüber den Mitmenschen
Viele schauen nur eingekapselt auf sich selbst, bedauern sich und
ihr Leben, schieben ihre Schwierigkeiten auf ihren Ehepartner, auf die Eltern
oder die Gesellschaft. Sie sehen gar nicht, was andere leisten, welche Lasten
auch diese zu tragen haben, und dass vielen niemand beisteht.
Heilung und Befreiung erfährt, wer sich von seiner Selbstdarstellung
und seinem Selbstmitleid abwendet und beginnt, sich für das Leben anderer
Menschen zu interessieren. Es weitet sich die Sicht, man wird frei,
verständnisvoll und kann so, oft ganz beglückt, seinen Mitmenschen beistehen
und ihnen helfen. Auch dabei hat der Blick auf Jesus, auf sein Wort und seinen
Lebensweg und die Intensivierung der Beziehung zu ihm schon vielen Heilung
gebracht.
Die schwerste Blindheit, die in der Erzählung anklingt, ist die
Blindheit des Glaubens.
Sie kann schon von Anfang an in einer glaubensfernen Familie
wurzeln, sie kann sich in der Jugend gebildet haben oder durch Vernachlässigung
des religiösen Lebens ausgebrochen sein. Diese Blindheit ist deshalb schwer,
weil das Ziel des Lebens im Unglauben versinkt, das Leben dadurch nur
diesseitig gesehen wird und jede Hoffnung darüber hinaus schwindet. Es ist dies
ein verarmtes Leben, nicht selten voller Hochmut und gespielter
Selbstsicherheit, ohne Orientierung und ohne Beziehung zu dem, der allein des
Menschen Herz nachhaltig erfüllen, Zuversicht, Befreiung und Hoffnung
ermöglichen kann.
Diese Blindheit kann nur Jesus heilen. Er ruft alle, wie den blinden
Bartimäus, zu sich und fragt: „Was soll ich dir tun?“ Der Stolze ist an dieser
Frage nicht interessiert, bleibt in seiner Diesseitigkeit stecken, bis er am
Ende in hoffnungsloser Resignation versinkt.
Der Glaubensbereite und Hilfsbedürftige kann neu sehend werden und
die befreienden Worte vernehmen: „Geh! Dein Glaube hat dir geholfen.“ (merli@utanet.at)