Einführung
Im Lesejahr C, dem „Lukasjahr“, sind die Evangelienperikopen zumeist aus
dem dritten Evangelium genommen.
Auch dieses Evangelium nach Lukas ist eine
Art „Harmonie“ aus Markus, Logiensammlung (Q) und Sondergut (S). Im Unterschied
zu Mattäus werden jedoch größere Teile des Markus ausgelassen - gemeinsam sind
nur etwa 350 Verse von 661 -, der Q- Stoff wird oft in anderer Anordnung und
Form geboten, und das Sondergut nimmt fast die Hälfte des ganzen
Lukasevangeliums ein. Hinzu kommt die tiefgreifend lukanische Redaktionstätigkeit,
die dem Evangelium von der ersten bis zur letzten Zeile den Stempel
unverwechselbarer Eigenart aufdrückt.
Lukas stellt sich in seinem Vorwort (1, 1-4)
als Apologet (Verteidiger), als
(modern gesprochen) Fundamentaltheologe
vor, der die Richtigkeit der christlichen Lehre zwar nicht beweisen, aber
glaubwürdiger machen will. Der gläubige Leser, repräsentiert in der Gestalt des
„Theophilus“ (1, 3), soll sich selbst von der Zuverlässigkeit der Worte und
Ereignisse, die ihm in der Katechese mitgeteilt wurden, überzeugen.
Mit Lukas beginnt also ein neuer Abschnitt
christlicher Literaturgeschichte. Das junge Christentum wird erstmalig bewusst
„literarisch“ tätig, es wendet sich an den einzelnen gebildeten Leser, um ihm
die historischen Grundlagen des Glaubens „von Anfang an“ und „der Reihe nach“
darzulegen. Diese erklärte Absicht stößt jedoch bald an ihre Grenzen. Auch
Lukas vermag mit seinem „sorgfältigen Nachforschen“ die Lücken der
Überlieferung nicht zu schließen, und an ihrem kerygmatischen (verkündigenden) Charakter
will er nichts ändern. So ist Lk trotz seiner apologetischen (verteidigenden) Zielsetzung
ein „Evangelium“ geblieben (und kein bloß historisch-biographischer „Bericht“).
Als liturgisches Vorlesebuch ist es von den Gemeinden mit großer Freude und
Dankbarkeit aufgenommen worden, zumal es die schönsten Geschichten enthält, die
das ganze Neue Testament kennt.
Die Umstände, die eine „Versicherung im
Glauben“ notwendig machten, waren keine anderen als die in nachapostolischer
Zeit üblichen: der zunehmende Abstand von den ursprünglichen Heilsereignissen,
das Ausbleiben der Parusie (Wiederkunft Christi), die allgemeinen Ermüdungserscheinungen
in den Gemeinden. Die Besonderheit des Lk kann deshalb nicht in der kirchlichen
Situation allein gesucht werden, sie beruht auf der genialen Einfachheit seiner
in Erzählform vorgetragenen theologischen Lösungen. Man darf Lukas den mit Abstand
besten narrativen (erzählenden) Theologen des ganzen Neuen Testaments nennen (Aus
Franz Josef Schierse, Einleitung in das Neue Testament, Patmos).
Im Textbestand des Lk wird nicht
gesagt, wer der Autor des Textes ist. Durch literarkritische und semantische
Stil- und Wortschatzvergleiche lässt sich nachweisen, dass Lk und
Apostelgeschichte (Apg) ein und denselben Autor haben. Seine theologische
Akzentsetzung weist ihn als Heidenchrist, der für die heidenchristliche Kirche
schreibt, aus. Er hat keine persönliche Kenntnis Palästinas, vermeidet
hebräisch-aramäische Begriffe und orientiert sich an heidnischer Bildung und
Dichtung (Prooemium). Ihm ist die griechische Bibel des Alten Testaments
(Septuaginta, LXX) zur Hand. Der anonyme und unbekannte Autor lässt sich also
als gebildeter Heidenchrist ermitteln (Aus Paul G. Müller, Lukas-Evangelium,
Kath. Bibelwerk Stuttgart).
Adventzeit
1. Adventsonntag
29. 11. 2015
Lk 21, 25-28.34-36
25Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne, Mond und
Sternen, und auf der Erde werden die Völker bestürzt und ratlos sein über das
Toben und Donnern des Meeres.
26Die Menschen werden vor Angst vergehen in der Erwartung der
Dinge, die über die Erde kommen; denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert
werden.
27Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und
Herrlichkeit auf einer Wolke kommen sehen.
28Wenn (all) das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt
eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe.
34Nehmt euch in Acht, dass Rausch und Trunkenheit und die
Sorgen des Alltags euch nicht verwirren und dass jener Tag euch nicht plötzlich
überrascht,
35(so) wie (man in) eine Falle (gerät); denn er wird über alle
Bewohner der ganzen Erde hereinbrechen.
36Wacht und betet allezeit, damit ihr allem, was geschehen
wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt.
Gedanken zum Evangelium
Lukas postiert die Rede über die
Endzeit vor den großen Bericht über Leiden, Sterben und Auferstehung Jesu. Am
Anfang des neuen Kirchenjahres stehen noch einmal die drohenden, aber auch
hoffnungsträchtigen Ereignisse, die der Wiederkunft Jesu voraus- gehen. Wir
können ein Dreifaches bedenken:
Unsere Welt ist nicht
unverwundbar.
Das Leben auf dieser Erde ist
verletzlich und gefährdet. Zu allen Zeiten gab es Bedrohungen und Katastrophen.
So ist auch heute unsere Existenz nicht unverwundbar und gesichert.
Dies sollten Christen wieder
bedenken, wenn eine heilige Zeit zur Besinnung ruft. Sehen wir der Wirklichkeit
des Vorläufigen unserer Existenz sachlich ins Auge. So könnte manches scheinbar
Bedeutsame relativiert werden und an den Rand unseres Lebens Geschobenes an
Wichtigkeit gewinnen. Wir würden dann Werte beachten und schätzen lernen, die
im gängigen Denken des Konsumierens und Genießens verdrängt waren und
vernachlässigt wurden: Freundschaft, Wohltätigkeit, Rücksichtnahme,
Hilfsbereitschaft und damit verbunden besonders die Beziehung zu Gott in einem
soliden religiösen Leben.
„Dann wird man den
Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf einer Wolke kommen sehen.“
Die Geschichte Jesu ist nicht vor
zweitausend Jahren zu Ende gegangen. Er lebt in der neuen Dimension des Ewigen.
Es ist leichtsinnig und gefährlich, sich um ihn nicht zu kümmern und so zu
leben, als gäbe es ihn nicht.
Viele bemühen sich eifrig um die
Freundschaft und das Wohlwollen bedeutender Menschen. Häufig wird an jene
geglaubt und auf deren Beistand gesetzt, von denen man sich einen Vorteil
erhoffen kann. Nicht selten wurden wir von Mächtigen auch enttäuscht.
Wir sollten uns in diesen Tagen
des Nachdenkens fragen, wie steht es mit unserem Glauben an diesen
wiederkommenden Jesus Christus? Rechnen wir überhaupt damit, dass es für uns
persönlich im Tod und für die gesamte Schöpfung am Ende dieser Welt eine
entscheidende Begegnung geben wird, bei der das neue Leben der Freude und
Vollendung anbrechen soll? Bereiten wir uns auf diese Begegnung vor?
Solche Adventgedanken können und
sollen zur Bekehrung und zu einem neuen Denken führen. Dazu sind uns der Advent
und das neue Kirchenjahr geschenkt.
„Wenn all das geschieht, dann
richtet euch auf und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe.“
Wer den Ruf Gottes in seinem
Leben vor lauter Sorgen um vergängliche Werte und in hektischer Gier nach
Lebenslust überhört hat, wer sich um Jesu Wort und seinen Anruf nicht gekümmert
hat, wer ohne Gott gelebt hat, der wird diese Wiederkunft des erlösenden
Christus nur in Angst erwarten können. Manche leugnen das Kommen Christi ja
nur, weil sie sich sonst eingestehen müssten, dass ihr Leben verkehrt abläuft
und sie so ihr Ziel verfehlen werden.
Wir Christen sollten unser Leben
so führen und unsere Zukunft so auf Christus bauen, dass für uns die Trostworte
zutreffen können: „Erhebt eure Häupter; eure Erlösung ist nahe!“ Wir werden
heimgeholt in die Befreiung von allen Übeln, in die seelische und körperliche
Vollendung, zu einer Teilnahme am Leben des Dreifaltigen Gottes. Wir müssen
nicht in Angst vor den kommenden Katastrophen und auch nicht in Sorge, was mit
uns einst sein wird, leben. Wir können unser Leben und unser Sterben getrost in
die Hände dessen legen, der uns zu erlösen gekommen ist, uns in die Liebe
Gottes hinein nimmt und Glückseligkeit schenken wird.
Advent bedeutet Ankunft
dessen, zu dem wir gehören, der uns liebt, der unserem Leben einen letzten Sinn
gibt und uns eine beglückende Vollendung bereitet. (merli@utanet.at)