Dienstag, 17. November 2015



Einführung

Im Lesejahr C, dem „Lukasjahr“, sind die Evangelienperikopen zumeist aus dem dritten Evangelium genommen.

Auch dieses Evangelium nach Lukas ist eine Art „Harmonie“ aus Markus, Logiensammlung (Q) und Sondergut (S). Im Unterschied zu Mattäus werden jedoch größere Teile des Markus ausgelassen - gemeinsam sind nur etwa 350 Verse von 661 -, der Q- Stoff wird oft in anderer Anordnung und Form geboten, und das Sondergut nimmt fast die Hälfte des ganzen Lukasevangeliums ein. Hinzu kommt die tiefgreifend lukanische Redaktionstätigkeit, die dem Evangelium von der ersten bis zur letzten Zeile den Stempel unverwechselbarer Eigenart aufdrückt.

Lukas stellt sich in seinem Vorwort (1, 1-4) als Apologet (Verteidiger), als
(modern gesprochen) Fundamentaltheologe vor, der die Richtigkeit der christlichen Lehre zwar nicht beweisen, aber glaubwürdiger machen will. Der gläubige Leser, repräsentiert in der Gestalt des „Theophilus“ (1, 3), soll sich selbst von der Zuverlässigkeit der Worte und Ereignisse, die ihm in der Katechese mitgeteilt wurden, überzeugen.

Mit Lukas beginnt also ein neuer Abschnitt christlicher Literaturgeschichte. Das junge Christentum wird erstmalig bewusst „literarisch“ tätig, es wendet sich an den einzelnen gebildeten Leser, um ihm die historischen Grundlagen des Glaubens „von Anfang an“ und „der Reihe nach“ darzulegen. Diese erklärte Absicht stößt jedoch bald an ihre Grenzen. Auch Lukas vermag mit seinem „sorgfältigen Nachforschen“ die Lücken der Überlieferung nicht zu schließen, und an ihrem kerygmatischen (verkündigenden) Charakter will er nichts ändern. So ist Lk trotz seiner apologetischen (verteidigenden) Zielsetzung ein „Evangelium“ geblieben (und kein bloß historisch-biographischer „Bericht“). Als liturgisches Vorlesebuch ist es von den Gemeinden mit großer Freude und Dankbarkeit aufgenommen worden, zumal es die schönsten Geschichten enthält, die das ganze Neue Testament kennt.

Die Umstände, die eine „Versicherung im Glauben“ notwendig machten, waren keine anderen als die in nachapostolischer Zeit üblichen: der zunehmende Abstand von den ursprünglichen Heilsereignissen, das Ausbleiben der Parusie (Wiederkunft Christi), die allgemeinen Ermüdungserscheinungen in den Gemeinden. Die Besonderheit des Lk kann deshalb nicht in der kirchlichen Situation allein gesucht werden, sie beruht auf der genialen Einfachheit seiner in Erzählform vorgetragenen theologischen Lösungen. Man darf Lukas den mit Abstand besten narrativen (erzählenden) Theologen des ganzen Neuen Testaments nennen (Aus Franz Josef Schierse, Einleitung in das Neue Testament, Patmos).

Im Textbestand des Lk wird nicht gesagt, wer der Autor des Textes ist. Durch literarkritische und semantische Stil- und Wortschatzvergleiche lässt sich nachweisen, dass Lk und Apostelgeschichte (Apg) ein und denselben Autor haben. Seine theologische Akzentsetzung weist ihn als Heidenchrist, der für die heidenchristliche Kirche schreibt, aus. Er hat keine persönliche Kenntnis Palästinas, vermeidet hebräisch-aramäische Begriffe und orientiert sich an heidnischer Bildung und Dichtung (Prooemium). Ihm ist die griechische Bibel des Alten Testaments (Septuaginta, LXX) zur Hand. Der anonyme und unbekannte Autor lässt sich also als gebildeter Heidenchrist ermitteln (Aus Paul G. Müller, Lukas-Evangelium, Kath. Bibelwerk Stuttgart).

Adventzeit
  1. Adventsonntag

29. 11. 2015 
Lk 21, 25-28.34-36
25Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne, Mond und Sternen, und auf der Erde werden die Völker bestürzt und ratlos sein über das Toben und Donnern des Meeres.
26Die Menschen werden vor Angst vergehen in der Erwartung der Dinge, die über die Erde kommen; denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.
27Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf einer Wolke kommen sehen.
28Wenn (all) das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe.
34Nehmt euch in Acht, dass Rausch und Trunkenheit und die Sorgen des Alltags euch nicht verwirren und dass jener Tag euch nicht plötzlich überrascht,
35(so) wie (man in) eine Falle (gerät); denn er wird über alle Bewohner der ganzen Erde hereinbrechen.
36Wacht und betet allezeit, damit ihr allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt.
Gedanken zum Evangelium

Lukas postiert die Rede über die Endzeit vor den großen Bericht über Leiden, Sterben und Auferstehung Jesu. Am Anfang des neuen Kirchenjahres stehen noch einmal die drohenden, aber auch hoffnungsträchtigen Ereignisse, die der Wiederkunft Jesu voraus- gehen. Wir können ein Dreifaches bedenken:

Unsere Welt ist nicht unverwundbar.
Das Leben auf dieser Erde ist verletzlich und gefährdet. Zu allen Zeiten gab es Bedrohungen und Katastrophen. So ist auch heute unsere Existenz nicht unverwundbar und gesichert.
Dies sollten Christen wieder bedenken, wenn eine heilige Zeit zur Besinnung ruft. Sehen wir der Wirklichkeit des Vorläufigen unserer Existenz sachlich ins Auge. So könnte manches scheinbar Bedeutsame relativiert werden und an den Rand unseres Lebens Geschobenes an Wichtigkeit gewinnen. Wir würden dann Werte beachten und schätzen lernen, die im gängigen Denken des Konsumierens und Genießens verdrängt waren und vernachlässigt wurden: Freundschaft, Wohltätigkeit, Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft und damit verbunden besonders die Beziehung zu Gott in einem soliden religiösen Leben.

„Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf einer Wolke kommen sehen.“
Die Geschichte Jesu ist nicht vor zweitausend Jahren zu Ende gegangen. Er lebt in der neuen Dimension des Ewigen. Es ist leichtsinnig und gefährlich, sich um ihn nicht zu kümmern und so zu leben, als gäbe es ihn nicht.
Viele bemühen sich eifrig um die Freundschaft und das Wohlwollen bedeutender Menschen. Häufig wird an jene geglaubt und auf deren Beistand gesetzt, von denen man sich einen Vorteil erhoffen kann. Nicht selten wurden wir von Mächtigen auch enttäuscht.
Wir sollten uns in diesen Tagen des Nachdenkens fragen, wie steht es mit unserem Glauben an diesen wiederkommenden Jesus Christus? Rechnen wir überhaupt damit, dass es für uns persönlich im Tod und für die gesamte Schöpfung am Ende dieser Welt eine entscheidende Begegnung geben wird, bei der das neue Leben der Freude und Vollendung anbrechen soll? Bereiten wir uns auf diese Begegnung vor?
Solche Adventgedanken können und sollen zur Bekehrung und zu einem neuen Denken führen. Dazu sind uns der Advent und das neue Kirchenjahr geschenkt.

„Wenn all das geschieht, dann richtet euch auf und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe.“
Wer den Ruf Gottes in seinem Leben vor lauter Sorgen um vergängliche Werte und in hektischer Gier nach Lebenslust überhört hat, wer sich um Jesu Wort und seinen Anruf nicht gekümmert hat, wer ohne Gott gelebt hat, der wird diese Wiederkunft des erlösenden Christus nur in Angst erwarten können. Manche leugnen das Kommen Christi ja nur, weil sie sich sonst eingestehen müssten, dass ihr Leben verkehrt abläuft und sie so ihr Ziel verfehlen werden.
Wir Christen sollten unser Leben so führen und unsere Zukunft so auf Christus bauen, dass für uns die Trostworte zutreffen können: „Erhebt eure Häupter; eure Erlösung ist nahe!“ Wir werden heimgeholt in die Befreiung von allen Übeln, in die seelische und körperliche Vollendung, zu einer Teilnahme am Leben des Dreifaltigen Gottes. Wir müssen nicht in Angst vor den kommenden Katastrophen und auch nicht in Sorge, was mit uns einst sein wird, leben. Wir können unser Leben und unser Sterben getrost in die Hände dessen legen, der uns zu erlösen gekommen ist, uns in die Liebe Gottes hinein nimmt und Glückseligkeit schenken wird.

Advent bedeutet Ankunft dessen, zu dem wir gehören, der uns liebt, der unserem Leben einen letzten Sinn gibt und uns eine beglückende Vollendung bereitet. (merli@utanet.at)